Nicht einfach, die Welt in 90 Tagen zu retten, TANAS Berlin
(Einspieldatum: 18.12.2009)
Der Weg zur Tate Modern ist steinig. Der schmale Pfad führt durch karge Gebirgslandschaften, fernab von jeglicher Zivilisation, zwischen Bauern, Bächen und Felsen.
Sener Özmen und Erkan Özgen, zwei türkische Gegenwartskünstler, wandern in ihrem Film „Road to Tate Modern“ (2003) als Don Quijote und Sancho Pansa mit Stock und Esel durch den „wilden Balkan“. Ihr Ziel: Das bekannteste Museum für Moderne Kunst Europas.
Nicht die Tate Modern, aber der Projektraum „Tanas Berlin“ stellt derzeit Werke zeitgenössischer türkischer Künstler aus und beweist mit der Ausstellung „Nicht einfach, die Welt in 90 Tagen zu retten“, dass die Türkei keineswegs als künstlerisches Hinterland gelten kann. Mit dieser Einschätzung sind die Ausstellungsmacher nicht allein. Auch in der Akademie der Künste und im Gropius-Bau scheint die türkische Kunstszene Einzug gefunden zu haben. Mit dem großangelegten Projekt „Istanbul Next Wave“ wird gleich in drei Ausstellungen Istanbul als neue Kunstmetropole gefeiert. René Block, der die Ausstellung für „Tanas“ kuratiert hat, versucht hingegen den Blick über die Grenzen der Metropole auszuweiten und junge, international noch unbekannte Kunstszenen aus Izmir, Ankara, Eskisehir und Diyarbakir mit einzubeziehen.
Die Türkei auf Tate-Modern-Kurs?
Die Spannung zwischen Tradition und Moderne erscheint dabei in vielen der Fotografien und Videoarbeiten als das grundlegende Thema. „Free Kick“ (2005) von Cengiz Tekin zeigt einen Fußballer vor dem Freistoß. Vor ihm bilden kopftuchtragende Frauen, schnurrbärtige Männer und Kinder eine „Mauer“. Die Familie als Wächter von Tradition wird zur Einschränkung, zum Hindernis.
Auch der Film „Mirage“ (2009) von Halil Altindere spielt mit Brüchen und kontrastierenden Lebenswelten, wenn ein hagerer, einfach gekleideter Mann mit einem Bodybuilder konfrontiert wird. Oder wenn sechs betende und wild gestikulierende Bauern auf einer Traktorschaufel wie Kinder in einem Leiterwagen durch die Ackerlandschaft gekarrt werden. Die Gebete-murmelnden Köpfe wippen im Takt der Erschütterungen und wirken lächerlich altmodisch, während die Ausrichtung nach Mekka durch die Bewegung des Traktors ad absurdum geführt wird. Klischees von türkischer Tradition, Familie und Religion werden in diesen Arbeiten angekratzt. Es entsteht ein bröckelndes, zerrissenes Bild einer Türkei – kurz vor dem Freistoß.
Gelangweilt, fast mechanisch scheinen auch die uniformierten Männer in Servet Kocyigits Videoarbeit „shake it ´til it drops“ (2007) an eingefahrenen Traditionen festzuhalten. Zu orientalischer Musik schütteln sie mit lustlosen Mienen eine Bauchtänzerin hin und her – wobei der im Titel angekündigte „Fall“ ausbleibt.
Bodybuilder und Bauer, Fußballstar und Kopftuch – findet man die Realität der Türkei zwischen diesen Polen? Manche Bilder lassen die Gegensätzlichkeiten auf den ersten Blick plakativ erscheinen. Und dennoch, gerade das provokative Spiel mit den Klischees und deren Verwandlung in Karikaturen ist es, was diese Positionen so erfrischend macht: „Everything you heard about turkish men is true“, so bekennt Servet Kocyigits ironischer Schriftzug aus zusammengesetzten Garnrollen. „Everything you heard about turkish art is true“ - so könnte man den Satz umwandeln und gleichzeitig entlarven, dass wir kaum etwas über türkische Kunst wissen. Die Türkei als Hinterland der Gegenwartskunst, das den Weg zur Tate Modern mit Packeseln beschreitet, gibt es nicht. Und so führt uns die viel versprechende „Road to Tate Modern“ nicht nach London, sondern vielmehr direkt nach Diyarbakir.
Abbildung:
- Servet Kocyigit, Motherland, 2007
Courtesy: The artist, Copyright: Tanas Berlin
- Cengiz Tekin, Normalizasyon
C-Print auf Dibond, 150 x 200 cm
Courtesy: The artist, Copyright: Tanas Berlin
Künstlerliste:
Halil Altindere, Fikret Atay, Köken Ergun, Ali Kazma, Servet Kocyigit, Ahmet Ögüt, Erkan Özgen, Sener Özmen, Cengiz Tekin, Nasan Tur
Öffnungszeiten:
Di-Sa 11-18 Uhr
TANAS Berlin
Heidestraße 50
10557 Berlin
tanasberlin.de