24 Aralık 2009 Perşembe

NEUES DEUTSCHLAND

Von Tom Mustroph 22.12.2009 / Berlin / Brandenburg

Ironische Weltenretter

Zehn türkische und kurdische Künstler in der Galerie Tanas

S. Özmen »Kreuzung«
S. Özmen »Kreuzung«

Manche Dinge sind nicht einfach. Die Welt zu retten zum Beispiel. Erst recht, wenn man nur 90 Tage Zeit hat. Die zehn türkischen Künstler, deren Werke insgesamt 90 Tage in der Galerie Tanas in der Gruppenausstellung »Nicht einfach, die Welt in 90 Tagen zu retten« präsentiert werden, beschränken sich daher auf subtile ironische Interventionen.

»Ich kann nicht die ganze Welt ändern oder sie einer kompletten Analyse unterziehen. Aber ich kann auf meine Art eingreifen«, sagt Cengiz Tekin. Der im kurdischen Diyarbakir lebende Künstler unternimmt dies auf eindrucksvolle Art und Weise. Seine fotografischen Inszenierungen geraten zu Allegorien der Wirklichkeit. In »Normalisierung« etwa platziert er eine traditionelle Familie in einem mit Teppichen ausstaffierten Raum, dessen rechte Hälfte von einem ein mächtiges Loch ausschachtenden Mann besetzt wird. Es stellt sich die Frage, ob der Bauarbeiter in diesen privaten Raum eingedrungen ist oder die Bewohner sich, vom permanenten Prozess des Bauens und Abreißens abgestumpft, hier einfach häuslich eingerichtet haben. Für Tekin symbolisiert die Grube jene Löcher, die der Krieg in die Gesellschaften des Mittleren Ostens reißt.

»Freistoß« hingegen bildet die neuen Möglichkeiten, die sich nach der Entspannung der Situation in den 90er Jahren ergeben haben, metaphorisch ab. Jeder kann nun wie der Mittelstürmer des örtlichen Fußballklubs zu einem Freistoß antreten und darauf hoffen, diese Ausgangslage in einen Vorteil umzumünzen. Die Verhältnisse wären aber nur unzureichend beschrieben, wollte man nicht auch auf die gucken, die sich diesen neuen Möglichkeiten ängstlich entgegen stellen. Tekin hat seine Familie eine Mauer im Strafraum bilden lassen. Fußball-geschult schützen die Männer mit ihren Händen die Unterleibspartien. Auch die jüngere Schwester verhält sich so. Mutter und Großmutter des Künstlers stellen sich ohne diesen Schutz verzagt dem Mittelstürmer entgegen. Der jüngere Bruder, der vermutlich noch am häufigsten selbst Fußball spielt, krümmt sich angesichts des bulligen Profis, der ihm gegenüber steht, und in Erwartung eines fulminanten Schusses furchtsam zusammen. Das Doppelpanorama aus Möglichkeiten und Zumutungen ist grandios in Szene gesetzt.

Bei einem weiteren Werk von Tekin stellt sich heraus, dass die sich im ersten Moment aufdrängenden Lesarten mitunter in die Irre führen können. Ein paar Buben werfen lachend einen Haufen Geldscheine in die Luft und lassen an ein Ritual des großzügigen Schenkens und Tauschens denken. Jedoch handelt es sich um das exakte Gegenteil. Tekin, der als Kunsterziehungslehrer an einer Grundschule arbeitet, nimmt seinen Schülern, die sich exzessiv dem Glücksspiel hingeben, immer wieder das dabei verwendete Falschgeld ab. Den im Bild zu sehenden Kindern, die nach der Schule auf den Feldern arbeiten und gar nicht die Gelegenheit zu dieser Art von Freizeitvergnügen haben, gab er die Scheine. Doch diese vorzeitig Erwachsenen erkannten die Geldscheine als falsch und damit wertlos und warfen sie deshalb in die Luft.

Großes ironisches Potenzial weisen auch die Arbeiten von Sener Özmen, Köken Ergun und Servet Kocyigit auf. Letzterer formt aus bunten gehäkelten Deckchen, die von Ferne an Neonelemente erinnern, den Spruch: »Alles, was du über türkische Männer hörst, ist wahr«. Özmen ist mit seiner ebenfalls in der Ausstellung »Istanbul Next Wave« im Gropius Bau zu sehenden Videoarbeit, die zwei als Sancho Pansa und Don Quixote verkleidete Künstler den Weg zur Londoner Tate Modern suchen lässt, präsent. »Natürlich ist klar, dass die Tate Modern nicht unmittelbar hinter dem Gebirgszug liegt, den die Männer durchstreifen. Aber mir war von vorneherein klar, dass ich mit diesem Video in der Tate Modern landen werde«, beschreibt Özmen seine launige Doppelstrategie.

Köken Ergun schließlich lässt in seinem Video einen Panzer durch eine kleine dänische Ortschaft fahren und verlagert so die früher in Kurdistan allgewärtige Militärpräsenz ins satte und friedliche Nordeuropa. Mit dem neuen, von Angst getrübten Blick der Europäer auf die islamische Welt spielt Fikret Atay mit seinem Video »Theorists«. Bei den »Theoretikern« handelt es sich um Koranschüler, die nach simpler westlicher Lesart allesamt potenzielle Terroristen sind und hier Suren murmelnd den Raum durchschreiten.

Die Ausstellung ist von dem exzellenten Türkeikenner René Block zusammengestellt. Weil das Gros der Künstler nicht aus dem mittlerweile unglaublich gehypten Istanbul stammt, sondern entweder im Ausland lebt oder noch im heimischen Diyarbakir arbeitet, weitet die Ausstellung den Blick auf die zeitgenössische türkische Kunstszene. »In Diyarbakir kann ich in Ruhe arbeiten. Man kommt von hier aus vielleicht nicht nach Istanbul, aber doch in die Welt«, meint lächelnd Cengiz Tekin. Und Galerist Block hält seine Ausstellung für eine »vitale Ergänzung« der Istanbul-Ausstellungen, die gegenwärtig im Martin Gropius Bau stattfinden. Die Ausstellung in der Galerie Tanas ist nicht nur vital; sie sprüht über vor Witz und Lebendigkeit.

Tanas, Heidestr. 50, bis 13.3. 2010, Di.-Sa. 11-18 Uhr, Informationen unter